Drosselrohrsänger beobachten: Meine Begegnungen mit dem Meistersänger im Schilf
„Aneta, schnell, komm her! Der Drosselrohrsänger ist wieder da!“ Peters aufgeregte Stimme durchbricht die Morgenstille am Schilfsee. Ich greife hastig nach meiner Kamera und pirsche mich vorsichtig neben ihn. Und tatsächlich – das charakteristische „Karre-kiet-kiet“ des Drosselrohrsängers erfüllt die Morgendämmerung. Peter, mein 72-jähriger Mentor und wandelndes Vogel-Lexikon, strahlt wie ein Kind an Weihnachten.
Wie der alte Peter mir die Augen öffnete
„Weißt du noch, wie du vor drei Jahren zum ersten Mal hier warst?“, flüstert Peter schmunzelnd, während wir den Sänger im Schilf beobachten. Natürlich erinnere ich mich! Damals hielt ich den virtuosen Gesang für ein ganzes Vogel-Orchester. Peter tippte mir auf die Schulter und klärte mich auf: „Das ist alles ein und derselbe Künstler!“ Seine Augen funkelten dabei so begeistert wie heute. Seitdem treffen wir uns jeden Donnerstag um 4:30 Uhr an der alten Parkbank am See.
Die Morgenkonzerte unseres Meistersängers
„Pass auf, jetzt kommt seine Amsel-Imitation“, raunt Peter mir zu. Mit seiner 40-jährigen Erfahrung kennt er jede Nuance im Repertoire des Drosselrohrsängers. Und tatsächlich – unser 19 Zentimeter großer Freund legt los. Zwischen den Gesangseinlagen schnappt er sich akrobatisch Insekten aus der Luft. „Der kann Multitasking besser als meine Enkelin“, schmunzelt Peter.
Manchmal bringen wir Vogelinteressierte mit zur Beobachtung. Die Gesichter, wenn sie zum ersten Mal realisieren, dass all diese verschiedenen Melodien von einem einzigen Vogel stammen – unbezahlbar! Peters Enkelin Emma war letztens auch dabei. „Opa, der singt ja wie Spotify!“, war ihr begeisterter Kommentar.
Dramatische Nestbau-Wochen
Letzten Mai erlebten Peter und ich eine regelrechte Nestbau-Soap-Opera. Ein Drosselrohrsänger-Pärchen hatte sich ausgerechnet die Halme gegenüber unserer Stammbank ausgesucht. „Die wissen eben, wo sie gute Zuschauer finden“, zwinkerte Peter. Drei Tage lang verfolgten wir gebannt, wie die beiden ihr Nest bauten. Peters Kommentare machten die Show perfekt: „Schau mal, sie testet die Stabilität – wie eine Bauingenieurin!“
Das Weibchen erwies sich als wahre Perfektionistin. Immer wieder flog sie los, um genau das richtige Baumaterial zu finden. „Die ist wie meine verstorbene Frau“, meinte Peter augenzwinkernd, „auch sie brauchte immer dreimal so lang beim Einkaufen, weil alles perfekt sein musste.“
Geheimnisvolle Akrobaten im Schilf
„Psst, da vorne!“, Peter deutet auf eine Bewegung im Schilf. Wir sehen unseren gefiederten Akrobaten kopfüber an einem Halm hängend. Ein schneller Schnabel-Schnapp, und die Libelle ist Geschichte. „Der hätte bei Cirque du Soleil eine Karriere machen können“, witzelt Peter, während er in sein abgegriffenes Notizbuch kritzelt.
Die Bewegungen des Drosselrohrsängers durch das Schilf sind faszinierend. Wie ein Seiltänzer balanciert er auf den schwankenden Halmen, klettert kopfüber und seitwärts – seine kräftigen Beine machen’s möglich. Peter hat in seinem Notizbuch sogar eine eigene Kategorie für besonders spektakuläre Akrobatik-Einlagen eingerichtet.
Von Insektenjagd und Beerenschmaus
Im Hochsommer wird das Schilf zur Festtafel. Libellen, Mücken, kleine Spinnen – alles landet im hungrigen Schnabel unseres Sängers. „Schau mal, wie geschickt er die dicke Libelle zerlegt“, kommentiert Peter fachmännisch. „Erst die Flügel ab, dann portionsweise – genau wie ich meine Bratwurst.“
Später im Jahr kommen Beeren auf den Speiseplan. Die reifen Holunderbeeren sind dabei der absolute Hit. „Manchmal frage ich mich, wie sie diese großen Beeren überhaupt schlucken können“, lacht Peter. „Aber sie haben’s raus – wie meine Emma beim Hamburger essen.“
Der Herbstliche Abschied
Ende August wird es stiller am See. Peter wird dann immer etwas melancholisch. „Weißt du“, sagt er eines Morgens, „ich habe in meinem Leben viele Drosselrohrsänger kommen und gehen sehen. Aber der Abschied fällt mir jedes Mal schwer.“ Wir beobachten, wie sich die Vögel für ihre lange Reise nach Afrika stärken.
Die letzten Tage vor dem Aufbruch sind besonders intensiv. Die Vögel fressen fast ununterbrochen, um sich Reserven für den langen Flug anzufressen. Peter hat extra einen „Abschiedskalender“ in seinem Notizbuch, wo er die letzten Sichtungen jedes Jahr dokumentiert.
Gemeinsames Engagement für den Artenschutz
„Früher“, erzählt Peter nachdenklich, „gab es hier doppelt so viele Drosselrohrsänger.“ Die zunehmende Trockenlegung von Feuchtgebieten macht ihm Sorgen. Gemeinsam engagieren wir uns im Naturschutz, damit diese wunderbaren Vögel auch in Zukunft hier brüten können. Sie brauchen nicht viel:
- Einen dichten Schilfgürtel als Zuhause
- Sauberes Wasser voller Leben
- Ruhe während der Brutzeit
- Naturnahe Uferzonen
Letztes Jahr haben wir mit der örtlichen Naturschutzgruppe eine „Schilf-Patenschaft“ ins Leben gerufen. Schulklassen können dabei ein Stück Schilfgürtel „adoptieren“ und kümmern sich darum. Peters Enkelin Emma ist mit ihrer Klasse auch dabei – die nächste Generation von Vogelschützern wächst schon heran.
Häufige Fragen an uns Vogel-Enthusiasten
„Wann singt der Drosselrohrsänger am schönsten?“ „Komm um vier Uhr morgens, dann erlebst du die beste Show“, sagt Peter immer zu Interessierten. Er fügt augenzwinkernd hinzu: „Aber bring Kaffee mit – viel Kaffee!“
„Wie unterscheidet ihr die einzelnen Vögel?“ Peter kennt „seine“ Vögel am Gesang – jeder hat seine eigene „Stimm-Signatur“. Nach drei Jahren kann auch ich schon einige Individuen unterscheiden.
„Ist das nicht langweilig, stundenlang am Schilf zu sitzen?“ Darüber müssen wir beide immer lachen. Mit Peter wird es nie langweilig! Seine Geschichten und Beobachtungen machen jede Exkursion zu einem Erlebnis.
Unsere Expertentipps für Anfänger
- Werdet Frühaufsteher – die besten Konzerte gibt’s im Morgengrauen
- Sucht euch einen erfahrenen „Peter“ als Mentor
- Bringt Geduld und ein gutes Fernglas mit
- Führt ein Naturtagebuch
- Respektiert die Ruhezeiten der Vögel
Ein persönliches Fazit
„Weißt du, Aneta“, sagte Peter neulich, „der Drosselrohrsänger hat uns zusammengebracht.“ Und er hat Recht. Diese faszinierenden Vögel haben nicht nur meine Sicht auf die Natur verändert, sondern mir auch einen wertvollen Freund und Mentor beschert. Jetzt gebe ich mein Wissen selbst weiter – ganz in Peters Sinne.